Wir laden Sie ein zu einem Exkurs in künstlerische Erfahrungen des Menschseins. In ein Abenteuer das mehr (ent)hält als ein elektronisches Medium verspricht. Der Wunderblock öffnet das Werk des Künstlers Manfred Scharpf Schicht für Schicht. Eine wahre Heldenreise durch fünfzig Jahre der Selbstbehauptung in der Moderne.

Veröffentlicht am 20.06.2018

BLIND DATE

Gerade beginnt die Vernissage in der Galerie eines kleinen Städtchens am Bodensee. Ein paar mutige Mitglieder des dortigen Kunstvereins haben sich an die Ausstellung mit einem Motto gewagt das schon im Vorfeld vielerlei Phantasien in Gang setzte – BLIND DATE.
Den Besuchern steht die Irritation ins Gesicht geschrieben – sie begegnen einer ungewöhnlichen Kunst, schockierend, doch mit partiell schönen Details, an die sich die strapazierte Seele anlehnen kann, bevor ihr eine infragegestellte Ratio – oder schroffe Ablehnung den Abend verdirbt...

Die Arroganz des Verstandes, eines wachgeglaubten Bewusstseins im aufgeklärten westlichen Menschen ist wohl auch einer seiner größten Irrtümer. Sie gründet auf der Überlegenheitsvorstellung des Verstandes über der Emotion. Die Illusion, der Verstand wäre dem Unbewussten überlegen, macht die Rechnung ohne den Wirt. Denn dem Rationalen gegenüber steht die Macht eines gewaltigen Seelenspeichers mit allen, seit Entstehung des Universums – (besonders der Evolution) eingelagerten Erfahrungen. Ein Meer unbewussten Wissens, aus dem sich Tropfen lösen, ins Gesichtsfeld unserer Wahrnehmung aufsteigen und dort einen Funken der Erkenntnis auslösen. 
BLIND DATE ist eine Möglichkeit über auch noch so kleine Phänomene des banalen Alltags in Kontakt mit dem universellen Feld des Wissens zu kommen. Dabei hilft die Kunst. 

Es lohnt sich, das Thema und Motiv BLIND DATE unter das der Maler sein gesamtes aktuelles Werk stellt, in näheren Augenschein zu nehmen. Üblicherweise steht ein BLIND DATE für ein erotisches Abenteuer – und wenn wir den mit viel lustvollen Aspekten versehenen Begriff Erotik auf seine ursprüngliche Bedeutung zurückführen, dann liegen wir beinahe richtig - „Eros als das einer Begegnung innewohnende Prinzip der Anziehung zweier Individuen“ – das Gegenteil von Trennung und Spaltung. Der Maler überträgt diese erotische Anziehung auf alle Begegnungen und Wahrnehmungen.

Hier finden wir den Zusammenhang mit dem Werk des Künstlers. Für ihn ist im Grunde genommen jede Begegnung mit einem zuvor Unbekannten und Unerwarteten ein BLIND DATE. Auch die Begegnung mit der Natur und ihren Objekten – oder sogar mit einem Kunstwerk machen darin keine Ausnahme. 
Der Erfolg oder Misserfolg eines BLIND DATEs zwischen Menschen hängt davon ab, mit welchen Erwartungen oder fixen Vorstellungen, positiv oder negativ, wir uns auf dieses Abenteuer einlassen und sie ihm zugrunde legen. Beinahe immer scheitert das mit zu viel Erwartung belastete, weil wir von falschen Reflexen getrieben werden. Im glücklichen Fall aber, wenn sich in seltenen Momenten Ratio und Emotio in einem BLIND DATE überkreuzend begegnen, sprechen wir von dem Wunder der Liebe.
Jedes BLIND DATE folgt diesem Gesetz. Nach dem Entschluss zu einer Begegnung setzt sich in unserem Bewusstsein ein „Vor-Bild“ des Erwarteten zusammen, ein Konglomerat aus unseren Erfahrungen und Prägungen, denen wir im Lauf des Lebens ausgesetzt waren. Zugegeben, es ist schwer ein Blind Date von Wünschen offen zu halten, weil es keine wirkliche Freiheit in unseren Handlungen gibt. (Auch dies ist eine Illusion) Aber wir könnten uns von der Einsicht leiten lassen, dass es erfrischend wirkt sich kurze Zeit dem Fremden auszusetzen, das die Welt für uns bereithält. 
Es gibt kein BLIND DATE das sich nicht lohnen würde. Der Schatz unserer Erfahrungen, unserer inneren Substanz wächst mit jedem dieser Wagnisse. Ein BLIND DATE kann, wenn wir gelernt haben das Gepäck unserer Vorurteile und Vorbelastungen abzulegen, zu einem Prototyp aller Begegnungen mit Menschen, Dingen und Situationen werden. Sich mit vorher gemiedenem Fremden auszusöhnen ist doch einer der größten Glücksmomente die wir kennen. Abwendung und Abspaltung dagegen bedeuten Schmerz. 
Ein BLIND DATE mit dem Unbekannten bedeutet nicht, dass wir uns dessen Wesen zu Eigen machen. Aber wir sortieren es ein in den unbegrenzten Vorratsspeicher unserer Seele, aus dem wir es abrufen können wenn wir es im Laufe des Lebens einmal als Information benötigen. 
Die sich Begegnenden, Betrachter und das Wahrgenommene in einem BLIND DATE unterscheiden sich in keiner Weise auf der unbegrenzten zeit- und raumlosen Seelenebene. Das Kunstwerk betrifft beide und beide werden zu Einem.